Samstag, 5. März 2011

Die Welt geht unter. Oder doch nicht?

Es ist bemerkenswert, wie sich gerade in den wohlhabenden westlichen Ländern immer mehr eine Untergangsstimmung breitmacht.
Sehr interessant ist zum Beispiel dieser kürzlich erschienene Artikel in Zeit Online.
Eigentlich muss es schon nachdenklich machen, wenn gerade System-Insider sich scheinbar am meisten Sorgen machen. Andererseits ist da, so denke ich, auch relativ viel Fatalismus von Individuen, die an der Suche nach einem Sinn des Lebens gescheitert sind, dabei. Irgendwie passt da auch diese Meldung ins Bild, sind doch eigene Kinder sehr sinnstiftend.
Was die Erwartung eines Crashs/Untergangs/? angeht, bin ich am ehesten beim unter anderem im Zeit-Artikel zitierten Max Otte, der "Katastrophenszenarien" zwar nicht ausschließt, aber ihre Wahrscheinlichkeit auf ca. 20% schätzt.
Dass diese Krise nicht beigelegt ist (wenn das auch momentan viele nicht so wahrnehmen mögen) und es auch noch lange nicht sein wird, da bin ich (und viele andere, die davon mehr Ahnung haben als ich) mir ziemlich sicher.
Während in vielen Schwellenländern die Auswirkungen der Krise existentieller Natur sind (ich bin überzeugt davon, dass die hohen Lebensmittelpreise der zentrale Auslöser der Unruhen im arabischen Raum sind), sehe ich bei uns eher eine Sinnkrise. Nachdem die Sowjetunion untergegangen ist, bröckelt nun auch der Glaube an den vermeintlichen Sieger im Wettbewerb der Systeme.
Oder ist dieser Sieger in Wirklichkeit nur der zweite Verlierer? Ein gewisser Dmitry Orlov, der den Kollaps der Sowjetunion persönlich miterlebt hat, stellte hier bereits 2006 diese These auf, wobei seine Gegenüberstellung von Sowjetunion und USA teils amüsant, gleichzeitig aber in weiten Teilen auch irritierend plausibel scheint. Die Frage, die sich mir diesbezüglich vor allem stellt, ist: Was würde im Falle eines Kollapses der USA, wie Orlov in prophezeit, folgen? Während die post-sowjetischen Staaten einfach das "andere" System übernehmen konnten (wenn auch nicht ohne Kollateralschäden), wäre für den Fall eines Kollapses der USA kein solches Alternativ-System in Sicht. Dann würde der paradoxe Fall eintreten, dass die Selbstzerstörung des Kapitalismus, die der Ökonom Schumpeter bereits 1942 in verblüffend exakter Übereinstimmung mit dem status quo beschrieben hat, nicht wie von ihm ebenfalls vermutet im Sozialismus seinen "natürlichen Erben" finden könnte, weil dieser wegen des vorherigen Scheiterns der Sowjetunion auf längere Zeit nicht "salonfähig" ist.
Was also dann? Anarchie?
Je nachdem, wann der hypothetische Kollaps stattfinden würde, könnte vielleicht auch China (abhängig von der weltpolitischen Relevanz, die es zu diesem Zeitpunkt hätte) eine wichtige Rolle spielen. Es muss sich erst noch zeigen, ob der von Deng Xiaoping eingeschlagene pragmatische Weg am Ende nur zu einer weitgehenden Kopie des westlichen Kapitalismus führt (worauf es einige Hinweise gibt) oder das Bewusstsein um die eigene lange Geschichte und Kultur (Stichwort Konfuzianismus) und die schiere Größe, die eine Einflussnahme von außen erschwert, ein neues Gesellschaftsmodell hervorbringt, das eventuell als Vorbild dienen kann (dieses Interview mit Helmut Schmidt ist diesbezüglich lesenswert). Mindestens 15-20 Jahre würde das aber vermutlich wohl dauern.
Ein weiterer Antagonismus sind die Demokratie-Bestrebungen in der arabischen Welt, während in den "etablierten Demokratien" des Westens der Glaube an ebendiese Demokratie schwindet (man beachte, dass dieser Artikel sogar von vor der Finanzkrise stammt, die diesen Trend noch stark beschleunigt hat).

Alles in allem lässt sich festhalten, dass das Ende der Welt zwar möglicherweise nicht, wie vielfach prophezeit, schon 2012 bevorsteht (möglicherweise aber doch), dass aber wohl die These, wonach ein Ende der Geschichte erreicht sei, spätestens jetzt als widerlegt zu betrachten ist.

Absurditäten

Der ORF berichtet über ein Schiff, das angeblich libysche Dinar von Großbritannien nach Libyen transportieren wollte (dann aber wieder umgekehrt ist) und dann von britischen Behörden aufgrund der bestehenden Sanktionen abgefangen wurde.
Es wurde Libyen (bzw. in diesem Fall wohl weniger Libyen, als vielmehr Ghaddafi) also zum Verhängnis, die Produktion der eigenen Währung an eine private Firma im Ausland ausgelagert zu haben. Irgendwie absurd...

Donnerstag, 10. Februar 2011

Aufregende Zeiten in Ägypten

Seit über einer Woche schaue ich immer wieder gebannt nach Ägypten - besser gesagt auf das, was mir Al Jazeera davon zeigt. Es ist aufregend, so ein historisches Ereignis live zu erleben.

Die Bilder von vorwiegend jungen Menschen, die mit soviel Herz und Mut für eine gute Sache kämpfen, macht sicher auf viele Menschen im Westen Eindruck. Ich denke, dass dies nach der langen negativen Entwicklung seit dem 11. September 2001 der muslimischen Welt mal wieder eine Imageverbesserung bringt.

Wie es aussieht, wird morgen (bzw. heute) möglicherweise ein entscheidender Tag (obwohl man das schon letzten Freitag und gestern dachte). Das ist so ein Moment in der Geschichte des Landes und zum Teil wahrscheinlich sogar der Welt, in dem kurzfristig sehr viele mögliche Wege offenstehen und Kleinigkeiten oder Zufälle darüber entscheiden können, in welche Richtung es geht (Stichwort "Schmetterlingseffekt" oder "Bifurkation").
Vom Ausbruch eines Bürgerkriegs und einer Destabilisierung der gesamten Region bis zu einer gelingenden Demokratisierung, die in einen langen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung mündet, ist meiner Meinung nach alles drin.
Auf jeden Fall sind die Dinge sehr kompliziert, weil der "Nahe Osten" ja schon in "normalen" Zeiten ein kompliziertes Pflaster ist. Die aktuellen Vorgänge stellen das gesamte Machtgefüge in der Region in Frage. Auch die Entwicklung des Islam und seiner Kompatibilität zum Rest der Welt wird vermutlich davon beeinflusst.

Nachdem ich auf die 30 zugehe und die Realität mir schon viel von meinem jugendlichen Optimismus und Idealismus gestohlen hat, tut es gut, so etwas mitzuerleben. Die weiteren Ereignisse werden nicht nur das Leben der Ägypter, sondern auch mein Weltbild und damit mich selbst zumindest ein bisschen verändern.
Ich wünsche den Ägyptern jedenfalls nur das Beste. Gute Nachrichten kann momentan die ganze Welt gut gebrauchen, um wieder ein bisschen Mut zu fassen.

"institutionalisierte Mechanismen für den Geheimnisverrat"?

In einem aktuellen ZEIT-Interview sagt Herr Domscheit-Berg, ein mittlerweile hinreichend bekannter Ex-Wikileaksianer, einige recht interessante und erhellende Dinge.
Neben der lobenswerten Erkenntnis, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, spricht er sich dafür aus, "institutionalisierte Mechanismen für den Geheimnisverrat" einzurichten.
Nun müsste man natürlich wissen, auf welche Definition von "Institution" er sich bei dieser Aussage bezieht. Angesichts seines bildungstechnischen Backgrounds (Informatik) vermute ich, dass Herr Domscheit-Berg selbst keine sehr präzise Vorstellung davon hat, was er damit eigentlich meint (das mit dem bildungstechnischen Background ist bei mir übrigens nicht viel anders, das soll also keinesfalls polemisch gemeint sein).
Meine Überlegung dazu: Ist das nicht Aufgabe des Journalismus? Was läuft da schief?
Besteht ein Zusammenhang mit der Entwicklung, die nach dem 11. September stattgefunden hat und z.B. den embedded journalist hervorgebracht hat?
Besteht ein Zusammenhang mit der zunehmenden Ausrichtung von Medienunternehmen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien und der zunehmenden Konzentration derselben in immer größeren Konzernen (siehe z.B. die News Corp.).
Ich kann bisher keine schlüssige Argumentation für die Zusammenhänge finden, aber meine Intuition sagt mir, dass sie existent sind.

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass das neue Projekt von Herrn Domscheit-Berg, Openleaks, laut Eigenbeschreibung genau in diese Richtung zielt: neutrale Plattform, die ihre Aufgabe vor allem in der (technischen) Gewährleistung der Anonymität der "Verräter" sieht und die Veröffentlichung bzw. die Entscheidung darüber etablierten Medien überlässt. Klingt für mich vernünftig!

Einstand

Nach 13 Jahren relativ intensiver und weitgehend passiver Internet-Nutzung fand ich es an der Zeit, mich etwas aktiver einzubringen (auch, wenn dies das von der ZEIT identifizierte Geschlechter-Ungleichgewicht noch weiter zu Ungunsten der Frauen verschiebt).
Dieses Blog (DAS Blog!) ist in erster Linie als ein Hilfsmittel für mich selber gedacht. Hilfsmittel in vielerlei Hinsicht:
  • Logbuch meiner Beobachtungen und Überlegungen
  • Training in Sachen Sprachbeherrschung / Schreibstil
  • Disziplinierung der Gedankengänge
Obwohl ich mich nicht als besonders soziales Wesen betrachte, exponiere ich diese geistigen Eigenproduktionen diesem riesigen, mysteriösen Meta-Wesen namens Internet, obwohl mir eine Begründung dafür zu diesem Zeitpunkt nicht leicht fällt.
Ohnehin möchte ich anmerken, dass aufgrund der Intention dieses Blogs meine Gedankengänge und Schlussfolgerungen selten als definitiv zu betrachten sind, sondern eher als "work in progress". Die Welt ist komplex und Urteile bezogen auf Sachverhalte sind aufgrund der meist unvollständigen Informationen darüber oft zwangsläufig als "ohne Gewähr" zu betrachten.
Meinungsbildung ist in dieser komplexen und sich schnell entwickelnden Welt eine große Herausforderung geworden. Ich finde es deshalb nicht verwerflich, ja manchmal sogar nötig, in Bezug auf viele Dinge gar keine Meinung zu haben. Der Slogan "Bild dir deine Meinung" gehört quasi invertiert.

Verkürzt könnte ich also sagen, dass dieser Blog auch ein Versuch wird, mir Meinungen zu bilden und dass dieser Prozess hier dokumentiert werden soll. Auf ein gutes Gelingen!